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1x Goslar / 4.070m

erstellt von Jörg Dummann zuletzt verändert: 16.11.2009 22:24
Bericht von Jens und Rickmer Bothe, LSV Goslar

Flugzeugführer:               Jens Rickmer Bothe

Co-Pilot:                          Tim  Lang

Verein:                             LSV Goslar

Flugzeugtyp:                    ASH 25e   26m   

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Startort:                          Goslar Bollrich

 

Platzhöhe ü.N.N.             270 m

                                   

Startzeit:                        10.46 UTC

Landeort:                        Goslar

Landezeit:                      15.22 UTC

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Bodenwindrichtung:        SW

Bodenwindstärke:           15 bis 30 Kmh

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Einstieg in die Welle/n:    Zwischen Ilsenburg und Schimmerwald

                                        In ca 800 MSL

 

Für jedes Wellensystem:

Einstieg(e) aus:               Winde plus Motor

Einstieg(e) in Höhe:         In ca 800 MSL

 

Angetroffene Steigwerte:    Bis max 3m

Erreichte Höhe(n):               siehe Bericht, max 4070 MSL

Ausdehnung des Steiggebietes:    siehe Bericht

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Vermuteter Auslöser:                     alles im Bericht

Höhenwindrichtung(en):           

Höhenwindstärke(n)

Temperaturangaben

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Freie Schilderung:                 Flugstrecke ca.  210 Km, alles andere im Bericht

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Bericht zum Wellenflug am Harz vom 7.11.2009

 

 

Die „Vorgeschichte“

Die Entwicklung hatte sich angekündigt, aber alles deutete darauf hin, das es am Mittag schon vorbei ist.

Die Front aus dem Westen sollte ab 12.00 wirksam werden, der Wind signifikant zurückgehen, also wohl wieder ein frühes Ende. Es fehlte eben auch die letzte Bestätigung der eigenen Einschätzung durch den Wellenalarm und erst am vergangenen Sonntag haben wir Stunden gebraucht um etwas fliegbare Welle zu finden!

RASP zeigt am Freitag für Samstag Welle bis ca. 4000m, aber leider nur noch für 6.00 und 7.00 Uhr. (So ganz sind wir mit unserer Interpretation der Vorhersage noch nicht im grünen Bereich)

Windfinder sagt ab 12.00 erhebliche Abschwächung der Windstärke voraus und zu allem Überfluss ist dann da auch noch die Front. Vielleicht nützt es uns ja, das diese Front nur noch als Oklussion ankommen soll, jedenfalls sagen das alle Vorhersagekarten übereinstimmend, wenn auch der genaue Eintreffzeitpunkt zwischen den einzelnen Protagonisten umstritten bleibt.

Als dann am Samstag gegen 8.00 Uhr eine herrliche Welle praktisch über dem Haus steht gibt es kurzentschlossen kein Halten mehr, frühes Ende hin oder her! Die Welle darf nicht ungenutzt bleiben.

 

Der Flug 1. Teil

Auf dem Platz angekommen empfängt uns ein Wellenbild wie aus dem Bilderbuch (Abb.1).

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Wir hätten eben doch die „Ganzfrühaufstehvariante“ wählen sollen!

Die gute Nachricht, Copilot Tim ist doch auf dem Platz, endlich mal ein Stundenplanausfall der passt.

Wegen akuter „Personalknappheit“ baue ich mit Tim die Winde auf, mein Vater tankt für alle Fälle noch mal 10 Liter nach, man weiß ja nie..!

Zwischendurch noch einen Mann (in diesem Fall Frau)  für die Fläche telefonisch zum Starten herbeilocken, dann endlich können wir die 25 zum Start ziehen.

Der Bodeninversion geschuldet bleibt der SW in Böen unter 30 kmh, ein Vorteil beim Start. Die Temperatur (7 Grad) am Boden lässt allerdings im Erfolgsfall ein eher kühles Vergnügen erwarten, deshalb die ausführliche Bekleidungszeremonie vor dem Start.

Flugzeug durchchecken, Sauerstoff auf, alle Batterien dran, 2. Funkgerät für alle Fälle, Sohlenheizung, alle Geräte „on“ und laufen auch, etc, etc, schließlich sind wir startklar.

Der Start verläuft problemlos, mein Vater zieht mich auf immerhin 280 m (das klappt nicht immer), das Triebwerk kommt wie immer ohne Verzögerung und erst mal das übliche Verfahren leewärts und Höhe gewinnen (es geht eben nur mit+ 0,5 im Mittel).

Wie so oft, in 600 m über Grund macht sich westlich Ilsenburg die Welle bemerkbar, ein bisschen Sicherheitshöhe beruhigt die Nerven aller und das Triebwerk hat seinen Dienst getan. Vor uns die Harzkante mit der leeseitig auflösenden Staubewölkung und weit über uns eine riesige Lentis die sich praktisch über die gesamte Länge des Harzes erstreckt (Abb. 2-4).

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Beim Blick Richtung Nord erkennt man erst am Schatten die gewaltigen  Ausmaße der Formation (Abb. 5).

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Mit im Mittel etwas über 1m/s steigen wir bis 2000MSL und verlagern dann Richtung Brocken also südlich von Ilsenburg. Bis 3000MSL steigt es weiter mit ca. 1m/s, dann dürfen wir den weiteren Aufstieg  mit bis zu 2m/s genießen. Während des Aufstiegs haben wir kurz Kontakt mit einem Piloten vom Schäferstuhl, aber leider hat er nach dem F-Schlepp den Einstieg wohl nicht erwischt. Etwas später sehen wir einen Motorsegler (Typ?), er meldet sich mit der Frage nach Fotomöglichkeit bei uns, leider bricht der Kontakt dann ab.(Aber wir haben ein Foto gemacht, bei Bedarf bitte melden).

Inzwischen habe ich mit Aschersleben Kontakt, wir können dank der Unterstützung von dort im nun aktiven Wellenfenster weiter steigen.

Leider hat sich inzwischen auch die angesagte Front genähert. Von Westen und Südwesten zieht massive Bewölkung auf, während es im Osten und Nordosten offen bleibt (Abb.6-9).

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Auf dem Flugplatz Goslar/Bollrich ist der Aufzug bereits wirksam(Abb.9a, b).

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Wir müssen in 3500MSL Richtung Ost verlagern, die Störung greift.(Abb.10, 10a)

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Inzwischen ist auch die „Bodentechnik“ aktiv und sammelt Infos für uns. Wir erfahren, das der Wind wider Erwarten bleiben könnte und laut aktuellem Satbild (siehe Anlage) und nach der Webcam Kassel-Calden Richtung NO es hinter dem Frontereignis wohl wieder etwas aufgehen könnte. Wir werden also wohl  ein größeres Ausweichmanöver Richtung Osten versuchen, dort ist es noch offen. Zunächst nehmen wir in etwa 3500 MSL ganz optimistisch die O2-Anlage in Betrieb und steigen jetzt wieder mit etwa 1m/s westlich Wernigerode weiter.

Leider müssen wir kurze Zeit später tatsächlich  in gut 4000 MSL die Klappen ziehen, die einfließende Feuchte führt außerhalb der 25 zu absinkender Unterkante der Lenti und innen zu Vereisung der Haube. Kleinste, im Sonnenlicht funkelnde Kristalle umgeben das Flugzeug und wenn wir sie weiter sehen wollen müssen wir demnächst kratzen.

Also 500m runter auf ca. 3600 und weiter Richtung Ost (Abb. 12).

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Goslar meldet jetzt Regen am Boden. Bei uns geht es vorbei an der Rappbodetalsperre, in 3200MSL passieren wir südlich Ballenstedt. Ein Blick zurück zeigt uns,dass es westlich weiterhin ziemlich dunkel aussieht (Abb.13,14).

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Wir folgen der Lentis die hier nicht mehr so markant ausgeprägt ist aber wir sind ja jetzt auch schon an den letzten schwachen Erhebungen des Harzes. Eigentlich ist es mehr ein Abgleiten mit zeitweise vermindertem Sinken und nur ganz selten meldet sich mal ein leichtes „piep“.

In 2500 MSL etwa 7km vor Eisleben entschließen wir uns um etwa 14.15 loc zur Umkehr.

 

Der Flug 2. Teil

Im Westen ist es stark bewölkt, aber noch immer sind Wellenstrukturen zu erkennen (Abb.15,16).

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Vom Boden hören wir, das der Wind am Brocken weiterhin mit ca. 60 kmh aus 180 bis 200  Grad kommt, der Regen durch ist und hinter dem Brocken zwar tiefer aber neue Wellen aufbauen (Abb.16a).

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Auf dem Rückweg finden wir eine tragende Linie die uns erst mal ohne großen Höhenverlust gute 10km Richtung Ballenstedt hilft.  Ballenstedt neben uns und die Instrumente sagen, dass wir noch 2000 MSL haben. Das reicht auch mit der 25 nicht zwingend zum reinen Gleiten nach Goslar(...und ob unser Motor nach dieser "Tiefkühlung" so einfach anspringt, haben wir auch noch nicht getestet). Aber jetzt  wird die vom Boden gemeldete Entwicklung Richtung Wernigerode besser sichtbar (Abb.17). Allerdings ist das noch ein gutes Stück von ca. 30 km bis hin zu der Wolkenformation.

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20 Kilometer weiter und 500m tiefer in 1500 MSL sind wir 10km vor Wernigerode und können jetzt die ersten, wenn auch schwachen Pluswerte am Vario erfliegen. Entlang der nun deutlich tieferen Wellenwolken geht es ab Wernigerode  zeitweise mit plus  0,5 bis 1m geradeaus Richtung Ilsenburg (Abb. 18,19).

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Wir halten auf den Einstiegspunkt zwischen Ilsenburg und Schimmerwald zu. Auch vom Boden hören wir, dass dort die Entwicklung am besten aussieht (Abb.19a).

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Tatsächlich durchfliegen wir bis zu 2m/s in jetzt wieder 1500MSL. Zwischenzeitlich meldet sich Aschersleben und teilt uns mit, das Bremen den Luftraum „gerne wieder hätte“ (danke für euren Anruf in Goslar und eure Unterstützung!!) und da wir wohl nicht mehr über 3000 kommen stellt das im Moment auch kein Problem dar, besonders da außer uns wohl kein Segelflugzeug mehr fliegt.

Ein anderes Problem ist die Kälte (ständig Schatten und nach -13 jetzt etwa –8 Grad)  in Verbindung mit den offensichtlich ungeladenen Batterien der Sohlenheizung.

Mit „Bordmitteln“, in diesem Fall der Batterie der Handfunke die wir dabeihaben, gelingt es jedoch dank des üppigen Ladezustands dieser Batterie das Thema „Kalte Füße“ schnell und befriedigend zu lösen.

Wir sind jetzt westlich Ilsenburg angekommen. Vor uns eine sich gerade entwickelnde Linse (Abb.20)

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die auch von Goslar aus sichtbar ist. Mit etwas Geduld und dem richtigen Timing (manchmal ist es ja vielleicht auch ein bisschen Glück) finden wir in der Spitze fast 3m/s und sind schnell wieder auf 2600 MSL. Leider müssen wir diesen schönen Fahrstuhl hier wieder verlassen, die Bewölkung lässt  ein Weitersteigen  nicht zu (Abb.21-23) und da wo die untere Schicht offen ist geht es nicht nach oben.

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Auch die optische Einschätzung vom Boden hilft da nicht weiter(Abb.23a).

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Wir entschließen uns entlang der höhergelegenen Kanten nach Westen vorzufliegen. Es reicht aber meist nur zum Flug ohne nennenswerten Höhenverlust. Bis SS ist noch 1.20 h Zeit. Sollen wir hier warten und auf einen neuen Durchbruch der Föhnlücke spekulieren oder die nach Westen sichtbaren, tieferen Lentis anfliegen? (Abb.24,25).

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Wir wählen Antwort 2 und tasten uns mit einigen Haken weiter Richtung West, in 2300 MSL südlich vorbei an Goslar. Über den westlichen Teil des Harzes fließt offenbar in den unteren Schichten zunehmend feuchte Luft in das Gebiet und führt bis an die Leekante zu geschlossener Bewölkung in etwa 1000 bis 1200 MSL (Abb26, 27).

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Westwarts baut sich eine markante Wellenformation in vielleicht 2- 3000MSL auf. Sie liegt vielleicht 10 km nördlich von Seesen. Was mag da noch der Auslöser sein? Wir folgen den über uns verlaufenden Wolkenstrukturen (das bedeutet dann wohl „meteorologische Navigation“) und etwa  ab der Innerste muss ich die Fahrt erhöhen, konstant Steigen aber leider sind die Lentis über uns (Abb.28, 30, 31).

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Mit zeitweise bis zu 160 geht es jetzt ohne Höhenverlust in etwa 2300 MSL bis über die Autobahn nach Westen.

Die Wolkenformationen sind jetzt wirklich beeindruckend! Die unter uns liegende Schicht schwingt wie ein riesiger Ozean, obwohl es mich dann doch mehr an ein fast grenzenloses Gletschergebilde erinnert.

Über uns die nächste Welle, neben uns gibt es Bereiche an denen sich beide Schichten fast berühren (Abb32,33).

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Der Kontakt zum Boden in Goslar bestätigt, das es hinter uns und nördlich weiter offen bleibt. Allerdings ist es am Boden kaum zu glauben, dass wir hier oben weiter großflächig steigen können (Abb.33a).

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Während wir fast wie beim Surfen die Wellen entlang fliegen können, sind die Wellenstrukturen vom Boden aus nicht mehr zu erkennbar(Abb.34, 34a).

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 Aber auch das schönste Erlebnis findet ein Ende. Noch einen Rundblick über diese unglaubliche Kulisse, den nahenden Sonnenuntergang und dann ziehen wir die Klappen und steigen durch eine der Lücken in der Nähe von Derneburg ab (Abb. 35,36). Vielleicht hätten wir auch die Linie zurückfliegen können, aber die einfließende feuchte Luft könnte doch auch zum schnellen schließen der Wolkenlöcher führen.

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 Mit 1200 MSL nehmen wir Kurs auf Goslar und landen nach  gut 4,5 Std  von  einem Flug mit zwei ganz unterschiedlichen Teilen.

 Das sich die Wellen nach Durchzug der  Front wieder aufgebaut haben hatten wir nicht vermutet und ist uns im Moment auch noch nicht klar. Vielleicht war es vor allem dem fehlenden Windsprung geschuldet.

Es bleiben eben gerade nach solchen Flügen viele Fragen zum Thema Welle.

 

Erste Nachbetrachtung

Die RASP Vorhersage hat  eigentlich gut gepasst. Bei früherem Start wäre wohl in der frühen Wellenstruktur eine deutlich größere Höhe möglich gewesen, ob ein luvseitiges Übersteigen der Welle möglich war musste bei diesem Flug offen bleiben. Die Unterseite der ersten Welle lag anfangs mindestens über 4000 MSL. Die Flächenmäßige Ausdehnung war vom Brocken Richtung Ost  mindestens im 850-iger Bereich fast punktgenau vorhergesagt.

Nach dem Frontdurchgang konnte die Wellenausdehnung nach Westen mindestens bis über die Autobahn erflogen werden, auch wenn sie nicht ganz soweit nördlich verlief wie vorhergesagt war.

Das dieses Wellenband überhaupt zu der späten Stunde noch aktiv war ist schon deshalb erstaunlich, weil mindestens die Bedingungen Windstärke und Richtung eigentlich zu diesem Zeitpunkt nach der Front ganz anders hätten sein sollen.

 Der 6.00 Uhr Temp Bergen zeigt zwischen Vorhersage und Aufstieg eine eher schwächer ausgeprägte Inversion. Allerdings konnte praktisch bis kurz vor SS vom Platz aus die Inversion über Bad Harzburg an Hand von Rauchsäulen bis mindestens 500 MSL beobachtet werden. Schon die wenige Kilometer nördlich stehenden Windräder zeigten dagegen während des gesamten Fluges deutlich Wind aus südlichen Richtungen.

Zum wiederholten Mal fiel auf, das die Windgeschwindigkeit auf dem Brocken deutlich über der lag, die aus dem Flug nachzuvollziehen ist (siehe auch OLC Datei). Eine stichhaltige Begründung dafür haben wir allerdings bisher nicht (allerdings gibt auch RASP einen Hinweis darauf).

Warum der Wind trotz Frontdurchgang praktisch unverändert blieb ist ebenso offen, uns war es aber sehr recht so!

 Goslar 9.11.09

Jens und Rickmer Bothe

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